Selbst am Boden liegend blickte er zum Himmel

02 November 2020
Hart arbeitende Eltern, die alles für ihre acht Kinder getan haben. Eine Familie, in der der Glaube wichtig war. Ein Junge, der trotzdem schon mit 14 Jahren in den Alkohol floh.

Georg Schwarz ist mit seinen sieben Geschwistern im niederösterreichischen Lichtenegg aufgewachsen. Die in der Landwirtschaft tätigen Eltern erzogen ihre Kinder zur Arbeit, und diese haben sich schon sehr jung am Landbau und an der Tierzucht beteiligt. „In unserer Familie war der Glaube schon immer wichtig. Wir beteten den Rosenkranz, vor dem Essen sagten wir Dank und sonntags gingen wir in die Kirche“ – erinnerte sich an seine Kindheit Georg Schwarz.

Ich schämte mich wegen der aufgenommenen Zigeuner

Die Familie, obwohl sie unter bescheidenen Umständen lebte, half beispielhaft den Armen. „Meine Mutter hat den Bettlern und den Wanderzigeunern immer etwas gegeben. Es kam vor, dass die Zigeuner bei uns im Schuppen übernachtet haben. Damals habe ich mich dafür geschämt, weil wir die einzigen waren, die diese Menschen aufgenommen haben. Heute sehe ich schon, was für ein großes Herz meine Eltern hatten.“
Nach seinen Grundschulstudien hat sich Georg in Kirchschlag in die Fachschule eingeschrieben um den Beruf Schreiner zu erlernen. Im Leben des nur 14-jährigen Jungen gab es außer dem Weiterlernen auch andere Veränderungen. Vorerst nur an Wochenenden, dann immer öfter auch an Wochentagen versuchte er, seine angehäufte Spannung mit Alkohol zu mindern. Das Trinken und die Partys sind zu seinem Alltag geworden, was sich sowohl auf seine schulische als auch auf seine Arbeitsleistung auswirkte.

Der langsame und der plötzliche Tod

„Ich hatte mit vielen Problemen zu kämpfen. Ich war unzufrieden und schüchtern, ich fühlte mich nicht ausgelassen und flüchtete in den Alkohol. Der Druck der Gesellschaft, der Zwang, mich anzupassen, lastete schon damals an meinen Schultern. […] Ich wusste eigentlich, dass ich mein Leben von den Wurzeln verändern sollte und nicht nur mit dem Trinken aufhören sollte. Dann habe ich diesen Gedanken immer unter den Teppich gekehrt.“
Die Kumpels, die Partys, der Alkohol und die Trunkenheit am Steuer führten schließlich zu einer Reihe von Tragödien. Georg hat in einem Verkehrsunfall vier seiner Freunde verloren. Aber auch das ermutigte den Jugendlichen nicht, als Überlebender sein Leben zu verändern. Seine Mutter lebte nach den Geschehnissen in ständiger Furcht. „Sie konnte nachts nicht schlafen, sie befürchtete, dass ich wieder einen Unfall erleiden könnte und dass sich die Polizei per Telefon melden würde.“ Georgs Mutter und seine Schwester beteten viel und hofften, dass eine Wende kommen, und das Leben ihres Lieben sich verändern würde.
„An einem gewissen Punkt habe ich alles hinter mich gelassen, was mich meine Familie und mein Glaube gelehrt haben. Ich bin zum Gefangenen des Alkohols geworden.“ – erinnerte sich Georg an seine Vergangenheit.

Ich war nicht fähig, zu lieben

In 1991, nach dem Tod seiner Freunde kam eine neue Tragödie - Georg hat seine Mutter an Herzinfarkt verloren. Der 23 Jahre alte Mann flüchtete nach dem Todesfall in den Alkohol. Aber seine Familie ließ seine Hand nicht los. Seine Geschwister brachten ihn nach Medjugorje. Obwohl er sich unter den Pilgern wie ein Fremder fühlte, bewegte sich etwas in ihm, sein Leben zu verändern. Nach seiner Heimkehr versuchte er, von seiner Krankheit zu heilen, aber er scheiterte. Seine Sucht hat aber nicht nur seine seelische, sondern auch seine physische Kraft zermürbt. Später sprach er so über diese Zeit: „Ich wurde ein zielloser, einsamer und trauriger Mensch. Ich war unfähig, mich selbst, den Gott, oder andere zu lieben.“

Meine Sucht, das Leiden anderer

Der nur 30-jährige Mann kam in die Psychiatrie, wo er an einer Entziehungskur teilgenommen hat. Er hat in der Kapelle des Krankenhauses sehr viel Zeit verbracht, suchte nach Trost, weinte, beschwerte sich und stritt sich mit Gott. „Selbst im tiefsten Graben habe ich Gott nicht völlig losgelassen. Selbst wenn ich mich zum Boden betrunken habe, habe ich am Boden liegend zum Himmel geblickt.“

Im Mai 1999 verließ Georg die Psychiatrie. Nach der wiederholten Intervention durch sein Geschwister führte sein Weg nach Kleinfrauenhaid, zur Gemeinschaft Cenacolo. Obwohl sich der Georgs Körper vom Alkohol bereinigt hat, herrschte in seiner Seele Traurigkeit und Selbstbeschuldigung. „Es hätte keinen besseren Platz zur Reinigung gegeben als die Cenacolo“. Georg hatte ein starkes Schuldgefühl wegen des frühen Todes seiner Mutter: „Die Familie der Süchtigen leidet auch. Das Kreuz der Familie ist vielleicht noch größer, als das des Alkoholikers. Früher dachte ich, dass ich mein Leben so leben kann, wie ich es will. Quatsch! Niemand lebt für sich selbst. Auch die Eltern und Geschwister leiden.“

Selbsthelfende Lebensschule

Cenacolo, d.h. gemeinsam speisen. Rita Agnese Petrozzi, von vielen nur als Schwester Elvira oder „die Schwester der Drogensüchtigen“ bekannt, eröffnete das erste Cenacolo-Haus im norditalienischen Saluzzo (ca. 60 südlich von Turin). Die Gemeinschaft Cenacolo nimmt hauptsächlich junge Menschen auf, die Heilung brauchen – meist Drogen- und Alkoholsüchtige – und bietet ihnen eine Möglichkeit für den Neubeginn.
Die vierundachtzig-jährige Schwester Elvira lebt im Mutterhaus der Gemeinschaft in Saluzzo, sie widmet ihre Tage dem Gebet, der Bildung junger Schwester und dem Besuch der Brüder und Schwester. Die Tür der Gemeinschaft steht unabhängig von Nationalität und religiöser Überzeugung vor allen Bedürftigen offen. Die Hausregeln sind einfach: Kein Fernsehen, kein Computer, keine Zigaretten, Alkohol oder Medikamente. Die jungen Menschen richten sich statt dessen nach der Devise der Benediktiner „ora et labora“ – Bete und arbeite!. Die Cenacolo beruht auf christlichen Werten, sie ist also keine therapeutische Institution, sondern betrachtet sich als eine selbsthelfende „Lebensschule“. Das Heilmittel ist die Gemeinschaft selbst. Die jungen Menschen bekehren sich zum Guten also ohne die Hilfe von Ärzten, sozialen Arbeitern oder Psychologen. Neben der Arbeit und der wahren Freundschaft spielt das Gebet eine zentrale Rolle im Leben der Hausbewohner. Die Heilung suchenden verbringen meist zwei Jahre in der Gemeinschaft und fast alle schaffen es, ihre Sucht loszuwerden. Die Gemeinschaft Cenacolo hat aktuell mehr als sechzig Häuser in achtzehn Ländern.

Fünf Jahre

Schwester Elvira hat Georg nach Italien, ins Mutterhaus in Saluzzo versetzt, mit dem Ziel, ihn so weit wie möglich von seinem früheren Leben zu entfernen. „Ich bin der Gemeinschaft beigetreten aber sprach kein Italienisch. Ich habe kein Wort verstanden, trotzdem wusste ich, dass was sie sagte, stimmte.“ Nach den Schwierigkeiten der Integration fand Georg schnell Freunde und ein Zuhause in der Gemeinschaft. Er fing wieder an als Tischler zu arbeiten. Nach fünf Jahren mit Selbsterkenntnis und Heilung – in Italien, dann in Medjugorje – legte Georg ein ewiges Gelübde ab und entschloss sich, ein Missionar in seinem eigenen Land zu werden.

Das Gebet der 25 Kiffer

Mit seinem in der Gemeinschaft kennengelernten Freund haben sie sich entschlossen, in Kleinfrauenhaid für die süchtigen jungen Menschen ein noch größeres Haus zu bauen als das damalige. Nach langem Warten und Beten haben sie die Genehmigung bekommen, es haben sich, einer nach dem anderen, freiwillige Freunde und enthusiastische Mitglieder der Gemeinschaft der Arbeit angeschlossen. Die Gestaltung des neuen Zentrums dauerte zwei Jahre. Während der Bauarbeiten ist Leopold mit der Gemeinschaft in Kontakt gekommen. Der Handwerker kam als Atheist, aber durch den Einfluss der Menschen um ihn herum bekehrte er sich. Als er schwer erkrankte, gab ihm Georg eine Osterkerze und sagte: „Wenn es dir schlecht geht, leuchte diese Kerze. Dann wirst du wissen, dass 25 Kiffer für dich beten“. Leopold fand vor seinem Tod Jesus mit Cenacolo, und als Dank schenkte er der Gemeinschaft eine Kuh. In der Gemeinschaft von Kleinfrauenhaid heilen zurzeit mehr als 30 junge Männer von ihrer Süchtigkeit. Neben dem Gebet finden sie Vergnügen in verschiedenen Formen der Arbeit: Töpferei, Käseherstellung, Tischlerarbeit, Kochen, Sport und Gartenarbeit. Georg Schwarz unterstützt heute schon selbst die Heilung und Neubeginn von jungen Menschen. „Zuerst ein langsamer Abbau, dann kommt ein Punkt, der dich in die Tiefe zieht. Ich bin Gott dankbar, dass ich auf den Boden gefallen bin. Wäre es mir nur ein bisschen besser gegangen, hätte ich die Hilfe nicht angenommen.“

Zwischen September 5-12. 2021 gibt Georg Schwarz einen Vortrag als eingeladener Referent des Internationalen Eucharistischen Kongresses.

Quellen: cenacolo.at, youtube, radiomaria.at, kathtube.com