Der Fanatismus ist sinnlos

10 November 2020
„Eine kleine, aber gefährliche Gruppe von Terroristen hat Europa angegriffen. Ihr Ziel ist es, uns zu teilen“, sagte der Kardinal und Erzbischof von Luxemburg, Jean-Claude Hollerich SJ.

„Eine Gruppe, eine kleine, aber gefährliche Gruppe von Terroristen, hat Europa angegriffen. Ihr Ziel ist es, Europa zu teilen, die rechtsextremistischen und populistischen Kräfte zu stärken, diejenigen, die Teilung schüren und Europa von den Werten entfernen, die seine Grundlage bilden“, kommentierte Kardinal Hollerich telefonisch als Antwort auf die Fragen der Nachrichtenagentur SIR zu den Terrorakten, die Europa verletzt haben: von der Enthauptung des Geschichtslehrers Samuel Paty über den jungen radikalen Moslem, der in der Basilika von Nizza Blut vergossen hat, bis hin zur Serie von Attentaten in Wien.
- Herr Kardinal, warum richtet sich so ein großer Zorn gegen Europa?
- Weil Europa der Welt zeigt, dass der Fanatismus sinnlos ist. Weil Europa ein Kontinent ist, auf dem sehr unterschiedliche Menschen zusammenleben und dank der gemeinsamen Werte zur Übereinstimmung kommen können. Weil wir daran gearbeitet haben, dass es in der Europäischen Union eine europäische Staatsbürgerschaft gibt. Das haben wir zustande gebracht, indem wir die Mauern zwischen den Nationen, die die Völker geteilt haben, abgerissen haben. Von nun an leben in Europa viele Muslime und Menschen anderer Religionen, und wir haben bewiesen, dass gutes Zusammenleben möglich ist. Es gibt zwar Gruppen, wie zum Beispiel in den Vororten der französischen Großstädte, wo die Menschen sich nicht integrieren können. Aber im Allgemeinen ist Europa ein Beispiel des erfolgreichen Zusammenlebens, und das gefällt den Terroristen nicht. Sie können es nicht ertragen, dass dieser auf gemeinsamen Werten beruhende Plan möglich ist, und deswegen greifen sie an.
- Auf den Titelseiten der Zeitungen und in den sozialen Medien sind schon Stimmen laut geworden, die der Migration und dem Islam die Schuld dafür geben.
- Das stimmt nicht. Ich kann dies mit vielen Beispielen belegen. Nach dem Attentat in Nizza hat sich die Union der Muslime in Luxemburg sofort in einem Brief an mich gewendet. Sie wollte mir als Leiter der katholischen Kirche unseres Landes sagen, wie sehr sie von dieser barbarischen Tat entsetzt ist. Auch der Imam von Bordeaux sagte klar, dass sich Mohamed im Angesicht des Attentats von Nizza schämen würde. Er erinnerte auch daran, dass Mohamed in seinem Leben viel Kritik abbekommen hat, diese aber nie ernst genommen und sich nie darüber geärgert hat.
-In dieser Hinsicht sagen viele, dass beleidigende Karikaturen gegen eine Religion oder die Vertreter der muslimischen Welt nicht zum Sieg über den Terrorismus beitragen. Was denken Sie darüber?

- Ich denke, die Freiheit darf nicht absolut sein. Meiner Meinung nach muss die freie Meinungsäußerung auch vor Augen halten, was andere denken, was andere spüren, insbesondere das religiöse Gefühl. Und ich denke, in diesem Zusammenhang tun wir gut daran, die Enzyklika Wir Geschwister alle von Papst Franziskus wieder zur Hand zu nehmen, die zeigt – auch Frankreich –, dass die Freiheit nur zusammen mit der Brüderlichkeit ausgeübt werden darf, da es ansonsten keine Gleichheit gibt.
- Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Terrorismus und der Pandemie?
- Ich glaube, die Terroristen konnten diese Zeit ausnutzen, diese zerbrechliche Situation, in der wir leben. In Europa sind die Menschen verängstigt. Sie sperren sich in ihre Häuser ein. Sie fürchten sich. Es geht ihnen nicht gut. Die Krankheit breitet sich ständig weiter aus. Der Tod bricht bei den Familien ein. Wir wissen, dass Angst zu Aggression werden kann. Aber genau das wollen die Terroristen. Sie wollen, dass die europäische Gesellschaft geteilt ist.
- Was für eine Antwort sollte Europa also auf die Barbarei des Fundamentalismus geben?
- In erster Linie eine einheitliche Antwort, in der die Stimmen aller Länder der Europäischen Union inbegriffen sind, die aller Christen, Atheisten, Agnostiker, Muslime, Juden. Wir alle müssen gemeinsam nein sagen. Wir müssen entschlossen sagen: Wir lassen nicht zu, dass uns der Hass und die Gewalt besiegen. Im Gegenteil: Wir wollen die Werte leben, die es ermöglicht haben, dass sich der Plan von Europa verwirklicht. Wir wollen die Brüderlichkeit leben, von der Papst Franziskus gesprochen hat. Wir lassen uns in dieser Hinsicht nicht besiegen.


Quelle und Foto: Agensir
Magyar Kurír